Berlin 2021

Überarbeitung des Neutralitätsgesetzes

Das Neutralitätsgesetz ist umstritten und wirkt laut Integrationsexpert:innen desintegrativ. Wie mehrere Gerichtsurteile zeigen, ist es zum Teil verfassungswidrig. Antidiskriminierungsstellen und -verbände melden, dass kopftuchtragenden Frauen mit Verweis auf das Neutralitätsgesetz weit über den gesetzlich vorgegebenen Rahmen hinaus der Zugang zu Berufen verwehrt wird. Damit ist es zu einem Symbol der gewollten staatlichen Ausgrenzung geworden.

  1. Werden Sie eine verfassungsgemäße Änderung des Neutralitätsgesetzes vornehmen?
  2. Werden Sie dafür sorgen, dass äußerlich als solche erkennbare religiöse Menschen durch eine Erweiterung der Roben- sowie der Uniformordnung in Polizei und Justiz arbeiten können?
  3. Wie werden Sie diese Änderungen kommunizieren, um sicherzustellen, dass die jahrelange, zum Teil verfassungswidrige Handhabung in der Verwaltungspraxis eingestellt wird?

Wir stehen zum Berliner Neutralitätsgesetz, da es sich bereits über viele Jahre bewährt hat. Wir werden das Berliner Neutralitätsgesetz rechtssicher weiterentwickeln und beibehalten. Der Staat muss religiös und weltanschaulich neutral sein. Wer hoheitliche Aufgaben ausführt, darf keine religiös oder weltanschaulich motivierte Kleidung und Symbole tragen.

Berlin ist vielfältiger als jemals zuvor. Getragen wird diese Vielfalt vom neutralen Staat, der alle gleichbehandelt und Berlin in seiner Diversität zusammenhält. Dem Berliner Neutralitätsgesetz (NeutrG) kommt hierbei die wesentliche Bedeutung zu, das Neutralitätsgebot des Staates zu wahren und allen Berliner:innen gleiche Rechte und Chancen zu gewährleisten. Wir sind deshalb entschlossen, alle Rechtsinstrumente zu prüfen, um die Verpflichtung des Staates und seiner Amtsträgerinnen und Amtsträger auf Neutralität in Berlin aufrechtzuerhalten. Eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Verfassungsbeschwerde der Berliner Senatsverwaltung für Bildung bezüglich des Neutralitätsgesetzes erwarten wir mit Respekt und prüfen eine Anpassung im Lichte der Entscheidung.
Gleichwohl treten wir als Berliner SPD für den Schutz des individuellen Glaubens unserer Mitbürger:innen und unterstützen die Vielfalt der Religionen, Glaubensgemeinschaften und der nicht-religiösen Weltanschauungsgemeinschaften. Wir setzen uns für den interreligiösen Dialog zwischen Menschen christlichen, muslimischen und jüdischen Glaubens ein.

Unsere Vision ist ein Berlin, in dem Alle selbstbestimmt und gut leben können und jegliche Formen von Diskriminierung und Marginalisierung überwunden werden. Wir erkennen an, dass alle Frauen von Sexismus und patriarchalen Strukturen betroffen sind, einige aber gleich mit mehrfachen Diskriminierungsformen zu kämpfen haben. Gerade in Zeiten, in denen rechte, antifeministische und rassistische Kräfte errungene Rechte und Freiheiten einschränken und uns als plurale Gesellschaft auseinander drängen wollen, stehen wir für intersektionale Solidarität. Wir setzen uns für die Ermächtigung und Selbstbestimmung aller Frauen ein! Wir stehen für eine plurale Demokratie auf Basis geteilter Werte statt vermeintlicher Neutralität. Wenn Frauen, nur weil sie ein Kopftuch tragen, weder als Lehrer*innen an staatlichen Schulen, noch als Polizist*innen oder hoheitlich tätige Justizbedienstete arbeiten können, dann steht das ganz klar im Widerspruch zu unserer Vorstellung eines weltoffenen und toleranten Berlins.

Wir setzen die Urteile des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts um und sind von der Prämisse der Antidiskriminierung geleitet. Daher kann das sogenannte „Neutralitätsgesetz“ so keinen Bestand haben.

Der Grüne Justizsenator Dirk Behrendt hat – im Einklang mit der Beschlusslage von Bündnis 90/Die Grünen – bereits nach dem Verfassungsgesichtsurteil 2017 erklärt, dass das so genannte „Neutralitätsgesetz“ in seiner Logik (dass sich die gebotene staatliche Neutralität nicht an Kleidungsstücken ablesen lasse) auch im Justizbereich umzusetzen sei. In der laufenden Wahlperiode ist er bereits erste Schritte gegangen, um kopftuchtragenden Frauen mehr berufliche Entfaltungsmöglichkeiten zu geben. So hat er etwa Rechtsreferendarinnen ermöglicht, wenn sie von ihren Ausbilder*innen begleitet werden, im Gerichtssaal ein Kopftuch zu tragen.

Mit dem Landesantidiskriminierungsgesetz und dem Diversity-Landesprogramm haben wir bereits wichtige Instrumente für Veränderung geschaffen. Diskriminierung durch und in der Verwaltung ist nunmehr justiziabel. Mitarbeiter*innen der Berliner Verwaltung und von Behörden werden und müssen über (gesetzliche) Neuerungen im Bereich Antidiskriminierung/Diversität durch Handreichungen und Schulungen informiert werden. Dasselbe gilt für das AGG, das wir auf Bundesebene novellieren und zu einem Bundesantidiskriminierungsgesetz ausbauen wollen. Die AGG-Beschwerdestrukturen in den Verwaltungen, Behörden und Zuständigkeitsbereichen des Landes Berlin werden wir weiter professionalisieren und stärken.

Da die Ablehnung in dieser Frage enorm ist, bleibt es zudem wichtig, dass Solidarität mit betroffenen Personen und der Druck aus der aktiven Zivilgesellschaft hoch bleiben. Diese kann sich unserer politischen Unterstützung weiterhin sicher sein.

Wir wollen das Neutralitätsgesetz und dessen Auswirkungen überprüfen. Dabei ist für uns maßgeblich, alle verschiedenen Grundrechte der Grundrechtsräger:innen zu berücksichtigen und in einem Abwägungsprozess zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dazu gehören die negative Glaubensfreiheit der Schüler:innen, das Erziehungsrecht der Eltern und der zu erfüllende staatliche Erziehungsauftrag, der die Neutralitätspflicht beachten muss sowie die vom Grundgesetz geschützte Berufs- und Religionsfreiheit von Lehrkräften, von Lehramtsbewerber:innen und Menschen in Ausbildung an öffentlichen Schulen. Insgesamt streben wir eine den Anforderungen der Rechtsprechung entsprechende, ausreichend differenzierte Regelung für alle Bereiche der öffentlichen Verwaltung an.

Wir begrüßen das im Neutralitätsgesetz verankerte Neutralitätsgebot im Bereich der Rechtspflege, des Justizvollzugs, der Polizei und an öffentlichen Schulen. Wir sind gegen eine Aufweichung des Gesetzes und halten an dem Neutralitätsgebot fest. In den wenigen Fällen, in denen die Religionsfreiheit Ausnahmen vom Neutralitätsgebot erfordert, streben wir Einzelfalllösungen an. Immer wenn Menschen sich Organen gegenübersehen, die hoheitliche Aufgaben ausüben, müssen sie sicher sein, dass diese „Amtspersonen“ ihre Aufgaben gemäß ihrer Verpflichtung nach Recht und Gesetz und unabhängig von der persönlichen politischen, religiösen und weltanschaulichen Haltung ausüben.

Von der AfD haben wir keine Antworten auf unsere Fragen erhalten.