Berlin 2021

Diskriminierungssensibilität in der Justiz und Rechtsprechung

Der rechtliche Diskriminierungsschutz bedarf der praktischen Umsetzung in der Rechtsprechung durch die Gerichte. In Fachdebatten wird immer wieder kritisiert, dass Richter:innen als Gruppe „soziodemografisch nicht über die Erfahrungsbreite der Bevölkerung verfügen“ (Susanne Baer, Bundesverfassungsrichterin) und dass eine grundlegende Sensibilität für die Themen Diskriminierung und Vielfalt kein fester Bestandteil der Aus- und Weiterbildung sind.

  1. Welche konkreten Schritte werden Sie ergreifen, um die Repräsentation gesellschaftlicher Vielfalt in der Richter:innenschaft zu vergrößern?
  2. Wie werden Sie die Auseinandersetzung mit den Themen Vielfalt, Diskriminierung und rechtlicher Diskriminierungsschutz als Bestandteil der Richter:innenaus- und -weiterbildung verankern?

Es gelten für uns die Vorgaben des Artikels 33 Grundgesetz bei der Besetzung von Stellen in der Justiz und Rechtsprechung. Darüber hinaus sehen wir keinen Handlungsbedarf.

Unsere Diversitätsoffensive bei Einstellungsverfahren im Land Berlin gilt auch für die Justiz und die Richter:innenschaft. Die Berliner SPD wird sich dafür einsetzten, die Zahl von Frauen* und Menschen mit Migrationsgeschichte unter der Richter:innenschaft zu erhöhen. Die SPD Berlin setzt sich zudem für eine genaue Erfassung von Gewalt- und Hassverbrechen gegen Menschen of Color in der Polizeistatistik ein und die konsequente Verfolgung dieser Verbrechen online und offline. Richter:innen wollen wir hinsichtlich der spezifischen menschenfeindlichen und geschlechterspezifischen Gewalt- und Bedrohungsformen verstärkt fortbilden. Zudem werden wir eine entsprechende Schwerpunktabteilung bei der Staatsanwaltschaft zur Verfolgung antisemitischer und rassistischer Gewalt in Berlin und eine zentrale Melde- und Beratungsstelle für Opfer einrichten. Insbesondere Frauen aus minorisierten Gruppen sind von rassistischer Diskriminierung, aber auch von Sexismus und Frauenfeindlichkeit betroffen. Dieser Mehrfachdiskriminierung gehört ebenfalls auf die Tagesordnung der Berliner Justiz.

Um auch unter der Richter*innenschaft die Vielfalt der Stadt Berlin abzubilden, muss an verschiedenen Punkten angesetzt werden. Die Justiz ist durch das LADG, das PartMigG und den Beschluss des Diversity-Landesprogramms bereits angehalten, Diversity-Maßnahmen zu formulieren und eigene Prozesse und Abläufe zu prüfen. Wir wollen uns zudem dafür einsetzen, dass die Aus- und Fortbildung diversitätssensibler und diskriminierungskritischer ausgestaltet wird – etwa hinsichtlich der Lehrinhalte oder der Betreuung im Rechtsreferendariat. Daneben werden wir uns mit Nachdruck dafür einsetzen, dass die Auswahlkampagnen zum richterlichen Probedienst regelmäßig durch die Landesantidiskriminierungsstelle evaluiert werden. Außerdem sind wir der Auffassung, dass gerade in diesem Bereich Mentoringprogramme an den Gerichten sowie für Referendar*innen unerlässlich sind.

Wir sind der Auffassung, dass die Integration diversitätsorientierter und diskriminierungskritischer Inhalte in die rechtswissenschaftliche und justizbezogene Aus- und Fortbildung der zentrale Schlüssel für eine nachhaltige Umsetzung des Antidiskriminierungsrechts darstellt. Grundsätzlich sollte berücksichtigt werden, dass Diversity-Kompetenz neben Fachwissen auch soziale Kompetenzen (Ambiguitätstoleranz, Perspektivwechsel, Selbstreflexion etc.) beinhaltet. Beides kann gut in Fortbildungen und Schulungen erlernt werden. Wir werden uns hierfür weiter mit Nachdruck einsetzen. Zu prüfen wird sein, ob verpflichtende Aus- und Weiterbildungen eingeführt werden können. Dies könnte mit Blick auf die richterliche Unabhängigkeit eine Herausforderung darstellen.

Zu 1. Die Auswahlkriterien der Bestenauslese zum Zugang zum Richter:innenamt sind an sich schon diskriminierungsfrei gestaltet. Wir setzen uns dafür ein, dass mehr Menschen mit einem von Diskriminierung betroffenen Hintergrund die Voraussetzungen für den Zugang zum Richter:innenamt erreichen und gesellschaftliche Vielfalt in der Richter:innenschaft so erreicht werden kann. Bereits jetzt setzen wir uns im Rahmen der Möglichkeiten dafür ein, den Zugang auch zu höheren Richter:innenämtern (Beförderungsentscheidungen) weniger von solchen Kriterien abhängig zu machen, die von Diskriminierungsmerkmalen beeinflusst sind (mittelbare Diskriminierung).

Zu 2. Die Angebote für entsprechende Weiterbildung bestehen und werden laufend weiterentwickelt. Die Auswahl der jeweiligen Weiterbildungsangebote erfolgt in richterlicher Unabhängigkeit, weshalb diese nur beworben werden können.

Das Land Berlin hat dafür zu sorgen, dass ein diskriminierungsfreies Arbeitsfeld herrscht. Dies gilt auch für die Ausbildung. Für uns Liberale ist aber zeitgleich die Arbeitsfreiheit für Richterinnen und Richter ein besonderes Anliegen. Sie sind dem Grundgesetz verpflichtet, in welchem auch die Antidiskriminierung festgehalten ist. Im juristischen Diskurs wie im wissenschaftlichen Austausch insgesamt, entsteht Sensibilität für Diversität dann, wenn die Beteiligten sich in ihren Entscheidungsprozessen bewusst sind, dass ihr persönliches Erfahrungswissen begrenzt und damit immer defizitär bleibt. Gerade die Entscheidungen des Verfassungsgerichts z.B. in Fragen gleicher Rechte für LSBTI-Menschen, ist ein Beleg, dass es gelingen kann, trotzdem zu diversitätssensiblen Entscheidungen zu gelangen.

Von der AfD haben wir keine Antworten auf unsere Fragen erhalten.