Diskriminierungssensibilität in der Justiz und Rechtsprechung

Der rechtliche Diskriminierungsschutz bedarf der praktischen Umsetzung in der Rechtsprechung durch die Gerichte. In Fachdebatten wird immer wieder kritisiert, dass Richter*innen als Gruppe „soziodemografisch nicht über die Erfahrungsbreite der Bevölkerung verfügen“ (Susanne Baer, Bundesverfassungsrichterin) und dass eine grundlegende Sensibilität für die Themen Diskriminierung und Vielfalt kein fester Bestandteil der Aus- und Weiterbildung sind.

  1. Welche Schritte werden Sie ergreifen, um die Repräsentation gesellschaftlicher Vielfalt in der Richter*innenschaft zu vergrößern?
  2. Wie werden Sie die Auseinandersetzung mit den Themen Vielfalt, Diskriminierung und rechtlicher Diskriminierungsschutz als Bestandteil der Richter*innenaus- und -weiterbildung verankern?
  3. Bei der Strafzumessung finden gemäß § 46 Abs. 2 StGB die Beweggründe und die Ziele von Täter*innen Betrachtung. Werden Sie sich für eine Dokumentation und Evaluation der Anwendung dieser Strafzumessungsregel in Prozessverläufen in Hamburg einsetzen?
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Die CDU hat auf unsere Fragen mit einer Stellungnahme geantwortet.

Im Laufe der Jahre hat sich die personelle Besetzung der Gerichte und der Staatsanwaltschaft verändert. Insbesondere der Frauenanteil ist so stark gestiegen, dass das Geschlechterverhältnis nahezu ausgeglichen ist. Durch die Einstellungsoffensive der letzten Jahre ist das Personal an den Gerichten im Durchschnitt auch jünger geworden. Bei der Auswahlentscheidung stehen die zuvor in der Ausbildung erbrachten Leistungen im Mittelpunkt und vor allem danach bestimmt sich die Zusammensetzung des Personals an den Gerichten. Für unsere Richter/innen gehört die Teilnahme an Fortbildung zum Selbstverständnis. Zusätzlich haben wir in Hamburg im Richtergesetz eine Fortbildungspflicht für Richter/innen normiert. Das dient der Sicherung der Qualität unserer Justiz. Das stadteigene Fortbildungsangebot wird fortlaufend aktuellen Bedarfen angepasst. Beispielsweise für den Bereich des Familienrechts wird derzeit ein Fachkonzept Familienrecht entwickelt, das einen ganzheitlichen Ansatz und keinen rein juristischen Ansatz verfolgt. An den Hochschulen hat sich im Bereich der Schlüsselkompetenzen ein sehr breites Angebot etabliert, das beispielsweise auch Diversity-Kompetenz und Gender-Aspekte berücksichtigt. Hier haben sich die Hochschulen wesentlich weiterentwickelt. Davon profitieren die Studierenden auch in ihrem späteren Beruf. Die Justiz ist unabhängig. Urteile der Gerichte und damit auch der Strafgerichtsbarkeit sind individuelle und sensible Angelegenheiten. Zudem ist es uns wichtig, dass die Justiz arbeitsfähig ist, möglichst schnell entscheidet und damit für Rechtssicherheit sorgt. Daher werden wir sie nicht mit zusätzlichen justizfernen Aufgaben betrauen. Die Auswertung von Urteilen und die denkbaren Schlüsse, die man daraus ziehen kann ist eine Aufgabe der Wissenschaft.

Wer Richter*in oder Staatsanwält*in werden möchte, muss überdurchschnittliche juristische Fähigkeiten nachweisen können. Von Nachwuchskräften für den höheren Justizdienst werden u.a. aber auch besondere Aufgeschlossenheit und Flexibilität erwartet. Wichtig ist das Verständnis für soziale Belange sowie Einfühlungsvermögen. Es geht nicht nur um Examensnoten, sondern um Fähigkeiten, Recht in einer vielfältigen Gesellschaft zu sprechen.
Mitarbeiter*innen mit Migrationshintergrund sind fester Bestandteil der Hamburger Justiz. In der Fortbildung spielt der Umgang und Kommunikation mit Menschen eine wichtige Rolle. Dazu gehören auch Fortbildungen, die die interkulturelle Kompetenz stärken.
Bei der Strafzumessung spielen auch rassistische oder menschenverachtende Beweggründe für die Tat eine Rolle. Dazu kommen weitere Faktoren wie z.B. ob der/die Täter*in sein Handeln bereut. Diese Umstände werden von den Strafrichter*innen abgewogen und sind die Grundlage für die sogenannte Rechtsfolgenentscheidung. Das Gericht muss in seinem schriftlichen Urteil die Umstände anführen, die zum entsprechenden Strafmaß geführt haben. Eine Auflistung aller strafzumessungsrelevanten Umstände ist nicht erforderlich. Bei den sogenannten „abgekürzten Urteilen“, die rechtlich möglich sind, finden sich oft keine Begründungen. Vor diesem Hintergrund ist es nicht möglich, Prozessverläufe zu dokumentieren und das Strafmaß zu evaluieren.

In der Tat rekrutiert sich die Richter*innenschaft aus einer soziodemographisch relativ homogenen Gruppe. In Hamburg steht in den kommenden Jahren eine Pensionierungswelle bevor, die Neueinstellungen erforderlich machen wird. Das Bewerbungsverfahren sollte dabei derart geöffnet werden, dass interkulturelle und soziale Kompetenzen der Bewerber*innen stärker als bisher als besondere Qualifikation für die Richter*innenschaft verstanden werden sollten.
In der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass rassistische, antisemitische, antiziganistische oder homophobe Beweggründe von Täter*innen oftmals nicht oder nur unzureichend im Strafverfahren berücksichtigt werden. Wir setzen uns daher dafür ein, dass im Jurastudium, im Referendariat und im Rahmen der Weiterbildung von Richter*innen die Themen Diskriminierung und gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit verankert werden. Gegenstand soll dabei auch eine kritische Auseinandersetzung mit stereotypen und diskriminierenden Vorstellungen von Kriminalität sein. Eine Dokumentation und Evaluation der Anwendung des § 46 Abs.2 StGB ist sinnvoll und kann dabei helfen, mögliche Schwachstellen der justiziellen Arbeit beim Erkennen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit als Tatmotivation offenzulegen und ihnen effektiv durch Schulungen u.ä. begegnen zu können.

1.: Die FDP ist generell eine Partei, die sich für Chancengleichheit einsetzt. So forderten wir bereits im Wahlprogramm zur Bundestagswahl absolute Chancengleichheit für Männer und Frauen und das Schaffen von Bedingungen, die einen Zugang zu jedem gewünschten Arbeitsplatz ermöglichen (siehe Forderung 84-1 aus dem Bundestagswahlprogramm). Diese Haltung gilt gleichermaßen für den Zugang zur Justiz, wo wir stetig für Modernisierungen kämpfen, die einen Zugang zu entsprechenden Stellen für jeden ermöglichen.
2.: Die FDP Hamburg setzt sich stetig für fachbezogene Fortbildungskonzepte der Richterinnen und Richter ein, wobei wir im Konkreten einen größeren Grad an Spezialisierung fordern (siehe dazu bspw. FDP-Antrag im Bundestag zur Modernisierung der ZPO). Außerdem setzen wir uns für mehr Stellen in der Justiz ein. Auf diese Weise wollen wir erreichen, dass alle Richterinnen und Richter in ihrem jeweiligen Gebiet fachspezifischer arbeiten können und mehr Zeit und Energie auf den Einzelfall verwenden können.
3: Die FDP setzt sich stets dafür ein, die Justiz transparent zu gestalten, um das Vertrauen in die Justiz zu stärken. Die Überwachung der Einhaltung bestimmter prozessrechtlicher Normen obliegt indes dem gerichtlichen Instanzenzug. Ob die Voraussetzungen des § 46 Abs. 2 StGB gewahrt werden ist aus unserer Sicht eine rechtliche, der Judikative zuzuordnende und keine politische Frage, so dass hier keine konkreten Maßnahmen unsererseits vorgesehen sind.

Von der AfD haben wir keine Antworten auf unsere Fragen erhalten.

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Verbesserung der polizeilichen Erfassung von politisch motivierten Straftaten

Die polizeiliche Kriminalstatistik versucht strafrechtliche relevante Vorfälle zu erfassen, um anhand dessen gesellschaftliche Problemlagen zu identifizieren. Das setzt jedoch voraus, dass Hasskriminalität und diskriminierende Vorfälle auch als solche erkannt werden und als rechte, politisch motivierte Kriminalität eingeordnet werden. Hierbei sollten die Stimmen der betroffenen Personen besonders relevant sein, wie aus dem Abschlussbericht des NSU – Untersuchungsausschusses des Bundestags hervorgeht.

Welche Maßnahmen werden Sie ergreifen, um Polizeibeamt*innen stärker als bisher für politisch motivierte Kriminalität (PMK-Rechts), Rassismus und menschenfeindliche Ideologien zu sensibilisieren?

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Die CDU hat auf unsere Fragen mit einer Stellungnahme geantwortet.

Wir sind in den vergangenen Jahren jeder Form des politischen oder religiösen Extremismus konsequent entgegengetreten und haben u.a. den Verfassungsschutz seit 2015 personell um ca. 50 Stellen verstärkt. Gerade die wachsende Gefahr des Rechtsextremismus wird von uns mit aller Entschlossenheit bekämpft. Wir werden den Verfassungsschutz und den polizeilichen Staatsschutz weiter stärken, um insbesondere gegen Hass und Hetze, gegen rechtsextremistische Aktivitäten im Internet und den sozialen Medien vorzugehen. Wir haben als erstes Land eine Spezialeinheit des Verfassungsschutzes zur Bekämpfung rechtsextremistischer Strukturen im Internet – „Cyber-Nazi-Jäger“ – ins Leben gerufen. Diesen Kurs werden wir fortsetzen und den Kampf gegen den Rechtsextremismus noch wirksamer führen. In einem neuen „Kompetenznetzwerk Rechtsextremismus“ werden wir behörden- und institutionenübergreifend alle Experteninnen und Experten an einen Tisch bringen, die interdisziplinäre Zusammenarbeit verstärken und die Kräfte bündeln. Mit einer neuen Sonderstaatsanwaltschaft wollen wir den Kampf gegen Hass und Hetze im Internet verstärken. Unser erfolgreiches Handlungskonzept zur Prävention und Verfolgung von religiös motiviertem Extremismus und Salafismus werden wir fortsetzen. Dazu setzten wir weiterhin auf eine gute Zusammenarbeit zwischen der Justiz, den Strafverfolgungsbehörden und den Präventionsprojekten.

Wir stellen die Anforderung an Polizeikräfte, rassistische und fremdenfeindliche oder sonstige menschenverachtende Motive bei Gewalttaten sicher zu erkennen. Es ist Teil der Aus- und Fortbildung die einschlägigen Delikte zu erkennen und entsprechend einzuordnen. Dafür bedarf es auch der Aufklärung, klarer Ansagen durch die Führungsebene der Polizei und der Auseinandersetzung der Polizei mit Betroffenen. Wie in anderen Feldern geht es hier um Sensibilisierung. Wichtig finden wir dafür die beständige Reflexion des polizeilichen Alltags im Team und mit den Führungskräften.

Im Rahmen unserer bisherigen parlamentarischen Arbeit haben wir quartalsweise die statistische Erfassung von Hasskriminalität und rechten Straf- und Gewalttaten durch Schriftliche Kleine Anfragen abgefragt, ausgewertet und öffentlich gemacht. Sofern wir festgestellt haben, dass Vorfälle, die einen diskriminierenden oder rechten Hintergrund nahelegen, nicht entsprechend in der Statistik eingeordnet waren, haben wir auf diese Widersprüche hingewiesen. Diese Arbeit wollen wir auch in Zukunft fortsetzen. Zudem muss es bei der Polizei regelmäßige Schulungen zum Erkennen und vor allem auch zum Umgang mit Hasskriminalität und rechtsmotivierten Straftaten geben; nicht nur in der Ausbildung, sondern auch als regelmäßige, verpflichtende Weiterbildung. Dabei muss auch die Sensibilisierung im Umgang mit den Betroffenen thematisiert und geschult werden.
Es ist ein großes Defizit, dass in Hamburg – als einziges Tatortland des NSU – kein NSU-Untersuchungsausschuss eingesetzt wurde, obwohl wir dies mehrfach beantragt haben. Wir halten an der Forderung nach einem NSU-Untersuchungsausschuss fest und halten ihn für unabdingbar, um Defizite und Fehlverhalten der Behörden im Umgang mit rechter Gewalt und der rechtsterroristischen Mordserie des NSU aufzuklären und in der Zukunft vermeiden zu können.

Wir setzen uns dafür ein, passgenaue Sicherheitskonzepte zur Bekämpfung politisch motivierter Straftaten zu erarbeiten. Dazu haben wir unter anderem angeregt, bundesweite Zuständigkeiten zu etablieren die eine gezielte Bekämpfung bspw. antisemitischer Straftaten möglich machen; auf diese Weise soll verhindert werden, dass Straftäter von teilweise unklaren Zuständigkeitsregelungen profitieren. Weiter gehört zu den von uns angeregten Verbesserungen ein gezieltes System zur Erfassung derartiger Straftaten, unterteilt nach religiösen, sozialen, politischen, rassistischen, sekundären und antizionistischen Ideologieformen, da diese jeweils unterschiedlich und individuell bekämpft werden müssen. Im Detail dazu die bereits genannte Drs. 21/18769.
Mit dieser Erarbeitung passgenauer Sicherheitskonzepte, differenzierend nach dem Hintergrund der einzelnen Straftaten, geht zwangsläufig eine Sensibilisierung der Sicherheitsbehörden einher, die sich im Rahmen der Umsetzung der Sicherheitskonzepte mit den Hintergründen im Speziellen auseinandersetzen müssen.

Von der AfD haben wir keine Antworten auf unsere Fragen erhalten.

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Einrichtung einer Schwerpunktsstaatsanwaltschaft für Hasskrimininalität mit LSBTI-Bezug

Unter Hasskrimininalität versteht man Delikte, die aus Motiven einer gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit begangen werden. Die Delikte haben nicht nur für die direkten Opfer besonders starke Folgen, sondern erzeugen innerhalb der ganzen Minderheitengruppe ein Gefühl der Angst und Bedrohung und vergiften das gesellschaftliche Klima. Gerade bei diesen Taten besteht ein großes Dunkelfeld, und auch wenn die Taten angezeigt werden, werden sie häufig nicht als Hass-Delikte erkannt oder behandelt. Die Berliner Staatsanwaltschaft hat vor diesem Hintergrund zwei Staatsanwält*innen als LSBTI-Ansprechpersonen eingesetzt, die besonders auf Taten mit trans*-, inter* oder homofeindlichem Hintergrund spezialisiert sind.

Werden Sie Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften einrichten, die auf Taten mit einem trans*-, inter* oder homofeindlichem Hintergrund spezialisiert sind?

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Die CDU hat auf unsere Fragen mit einer Stellungnahme geantwortet.

Uns ist wichtig, dass Straftaten mit LSBTI-Bezug konsequent strafrechtlich verfolgt werden. Im Aktionsplan für Akzeptanz geschlechtlicher und sexueller Vielfalt der Stadt Hamburg finden sich hierzu wichtige Hinweise. Die Straftaten, um die es im Kern geht, sind der Hasskriminalität zuzurechnen. Diese Straftaten werden heutzutage oft auch im Internet begangen. Insbesondere dafür werden wir Schwerpunktbereiche bei der Staatsanwaltschaft einrichten.

Bei der Staatsanwaltschaft Hamburg werden Straftaten gegen Personen, die aufgrund ihrer sexuellen Ausrichtung gezielt Opfer von bi-, homo- und intersexuellen- sowie transgenderfeindlichen Gesinnung geworden sind, in einer darauf spezialisierten und erfahrenen Abteilung bearbeitet. In der Justizbehörde wurde auch die Koordinierungsstelle „OHNe Hass“ eingerichtet. Deren Aufgabe ist es, zusammen mit allen relevanten Stellen, insbesondere Medienunternehmen, NGOs und Strafverfolgungsbehörden, das Anzeigeverhalten bei Hasskriminalität im Internet zu verbessern und die Täter effektiver zu verfolgen.

Wir setzen in dem Bereich in erster Linie auf Maßnahmen zur Prävention und gesellschaftliche Sensibilisierung, denn wenn die Strafverfolgungsbehörden gebraucht werden ist im Vorfeld bereits einiges schief gelaufen. Leider sind Hassverbrechen natürlich bittere Realität. Besonders geschultes Personal, ob bei der Polizei, den Behörden oder der Staatsanwaltschaft halten wir daher für ein sinnvolles Instrument.

Die Verteidigung einer freien, offenen und toleranten Gesellschaft ist für die FDP eine ganz zentrale Aufgabe! Vor diesem Hintergrund treten wir jeder Form von Gewalt, Ausschluss und Diskriminierung von Angehörigen der LSBTI-Szene entschlossen entgegen. Die Einrichtung einer Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft haben wir insoweit nicht geplant. Dennoch haben wir konkrete Vorschläge, um die aufgezeigte Problemlage zu bekämpfen. Unsere konkreten Forderungen in dieser Hinsicht hat unser Sprecher für LSBTI, Dr. Jens Brandenburg, wie folgt formuliert: „Den Schutz vor Diskriminierung aufgrund der sexuellen Identität wollen wir fest im Grundgesetzes verankern. Der zunehmenden Gewalt gegen gleichgeschlechtliche Paare treten wir geschlossen entgegen. Kein Mensch darf aufgrund seiner sexuellen oder geschlechtlichen Identität verfolgt oder angegriffen werden. Zudem muss sich die Bundesregierung im Ministerrat der EU endlich für eine europaweite Anerkennung gleichgeschlechtlicher Ehen einzusetzen.“
Siehe dazu hier.

Von der AfD haben wir keine Antworten auf unsere Fragen erhalten.

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