Berlin 2021

Wissen über Diskriminierung

Für eine zielgerichtete Antidiskriminierungspolitik und Antidiskriminierungsarbeit ist ein fundiertes empirisches Wissen über Diskriminierung unabdingbar. Bisher wurden für Berlin nur punktuell Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsdaten erhoben und es gibt kaum qualitative oder quantitative Studien. Damit fehlt eine wichtige Grundlage für eine effektive Antidiskriminierungspolitik:

  • Wo, in welcher Form und warum erleben Menschen in Berlin Diskriminierung?
  • Welche diskriminierenden Praxen und Strukturen existieren in konkreten Lebensbereichen wie Arbeit, Gesundheit, Bildung, Behörden, politische Partizipation – bezogen auf welche Merkmale?
  • Was wissen von Diskriminierung Betroffene über ihre Rechte und wie nutzen sie diese?
  • Wie gut funktioniert der faktische Zugang zum rechtlich garantierten Diskriminierungsschutz?
  • Wie geht die Berliner Justiz mit Klagen wegen Diskriminierung um?

 

  1. Wie wird Ihre Partei vorgehen, um fundierte Informationen als Grundlage für die Landespolitik zu erhalten?
  2. Welche inhaltlichen Schwerpunkte werden Sie setzen?
  3. Werden Sie bei der Datenerhebung intersektionale Formen der Diskriminierung berücksichtigen?

Fundierte Informationen können auf unterschiedliche Weise gewonnen werden: sei es durch Studien oder im Rahmen eines Austausches mit relevanten Akteuren. Wir planen nicht, hierzu Studien durchzuführen.

Für die Berliner SPD ist klar: Eine gezielte Gleichstellungs- und   Antidiskriminierungspolitik braucht Daten. Die Debatte rund um die sogenannte Diversitätsquote in Berlin hat deutlich gezeigt, dass viele der positiven Maßnahmen ohne statistische Grundlage nicht oder nur bedingt umsetzbar. Wir brauchen deshalb eine repräsentative Datenbasis: Bisher wird in Deutschland lediglich die Kategorie „Migrationshintergrund“ erhoben. Das Konzept ist aber ungeeignet, Diskriminierungs- und Rassismuserfahrungen zu benennen, da Menschen unabhängig von ihrem Migrationshintergrund von Rassismus betroffen sein können. Wie viele Blacks and People of Color (BPocs) in Deutschland leben ist weiterhin unbekannt. Klar ist, dass es eine bessere Datenlage braucht, im Sinne eines „Diversity Monitoring“ wie in England oder Canada, also eine Erhebung von Daten über die Lebenslage von ethnisierten, minorisierten und religiösen Gruppen. Wichtig ist, dass es für solche Erhebungen Mehrfachdiskriminierungen berücksichtigen und auf der Selbstdefinition der betroffenen Gruppen und ihrer freiwilligen Teilnahme basieren.

Für uns ist klar: Menschen, die in unserer Gesellschaft von Diskriminierung betroffen sind, müssen sichtbar werden, nicht nur zu Wort kommen und mitbestimmen können, sondern auch in die Entscheidungsprozesse einbezogen werden – in der Politik genauso wie in allen anderen Lebensbereichen. Das ist ein erster wichtiger und notwendiger Schritt, um Vielfalt in dieser Stadt leben zu können. Um dies zu erreichen, braucht es auch eine differenzierte Auseinandersetzung mit unterschiedlichen Formen von Diskriminierung, etwa Rassismus gegen Schwarze Menschen, antimuslimischem Rassismus oder antiasiatischem Rassismus, und eine Generierung von Informationen und Wissen um Diskriminierung in ihrer intersektionalen Verschränktheit, insbesondere um strukturelle Ausschlüsse. Daher haben wir uns unter anderem dafür eingesetzt, dass Berlin als erstes Bundesland eine Expertenkommission zu antimuslimischem Rassismus einberufen hat, von der wir uns wichtige Impulse und Maßnahmenvorschläge versprechen. Seit dieser Wahlperiode erlangen wir mit dem Berlin Monitor zudem regelmäßig statistisches Wissen über die Einstellungen der Berliner*innen hinsichtlich unserer vielfältigen Stadtgesellschaft sowie über Diskriminierung und Rassismus. Dabei setzt der Berlin Monitor jeweils spezifische inhaltliche Schwerpunkte mit einer vertieften Datenerhebung und Analyse. Dies war zuletzt in Bezug auf Antisemitismus der Fall. Diese Erhebungen werden wir fortführen und weitere Schwerpunktanalysen setzen – etwa in Bezug auf bestimmte Formen gruppenbezogener Menschenfeindlichkeit wie anti-Schwarzer Rassismus oder in Bezug auf bestimmte gesellschaftliche Handlungsfelder wie das Gesundheitssystem oder die Polizei. Selbstverständlich gehört dazu auch das „Berliner Monitoring trans- und homophobe Gewalt“ sowie viele weitere wichtige Erhebungen und Auswertungen von Diskriminierungsvorfällen und rechtsextremen, diskriminierenden, antisemitischen oder rassistischen Attacken, sei es durch die Berliner Registerstellen oder zivilgesellschaftliche Beratungsorganisationen wie EOTO, Inssan, Amaro Foro oder RIAS. Wo spezifisches empirisches Wissen über Diskriminierung fehlt, werden wir über die Landesantidiskriminierungsstelle Gutachten und Studien mit intersektionalem Fokus beauftragen.

Zentral ist auch akademisches Wissen über Diskriminierung und Rassismus, das wir ausbauen werden – etwa durch die Einrichtung von Lehrstühlen für Postcolonial und Black Studies.

Perspektivisch wollen wir überdies, dass Gleichstellungsdaten von Menschen mit Rassismuserfahrung erhoben werden. Dies werden wir im Rahmen des Diversity-Landesprogramm vorantreiben.

Für die Dauer der kommenden Legislaturperiode möchten wir eine parlamentarische Enquete-Kommission einrichten, deren Ziel es ist, diskriminierende Strukturen in der Berliner Verwaltung und den (Sicherheits-)Behörden proaktiv und systematisch zu erfassen, diese abzubauen und die Verwaltung offener und diverser zu machen. Uns ist es ein besonderes Anliegen, dass Sachverständige aus der Zivilgesellschaft und der Wissenschaft dort ihre diskriminierungskritische Expertise einbringen und die vielfältigen Perspektiven potentiell Betroffener sicherstellen. Wir erwarten, dass im Rahmen dieser Enquete-Kommission ebenfalls Informationen und Wissen über Diskriminierung und strukturelle Ausschlüsse generiert und unmittelbar in die parlamentarische Diskussion einfließen wird.

Zu 1. Wir werden die in dieser Legislaturperiode eingeführten jährlichen Berlin-Monitore als Instrument der Datenerhebung weiterführen. Dabei werden wir auch zukünftig jährlich andere Schwerpunkte setzen.

Zu 2. Dazu gibt es noch keine Festlegung. Die Schwerpunktsetzung muss jeweils am Bedarf orientiert erfolgen.

Zu 3. Ja.

Für Liberale stehen die Würde und Selbstentfaltung jedes einzelnen Menschen im Mittelpunkt der politischen Bemühungen. Wir begreifen Vielfalt als Chance, nicht als Bedrohung. Diese Botschaft steht im Mittelpunkt unseres Plädoyers für Diversity Managements, das über Antidiskriminierung hinausreicht. Wir setzen auf Maßnahmen, die auf die Entwicklung und Vermitt-lung der positiven Potentiale der Diversität hinwirken, noch ehe letzte Klarheit über die statistischen Details besteht. Die zu-ständigen Beratungsgremien der FDP Berlin verfolgen die Fachdebatte zu den Herausforderungen der Antidiskriminierung aufmerksam und werten sie mit Blick auf notwendige politische Schritte aus.
Unabhängig davon braucht wissensbasierte Politik gesicherte Erkenntnisse. Für ein realistisches Bild müssen Verwaltung und Wissenschaft Phänomene der Mehrfachdiskriminierung und damit die intersektionale Betrachtung in den Blick nehmen. Es reicht aber nicht, die Dimensionen der Antidiskriminierung zu erheben. Es muss darum gehen, Datenerfassung mit Blick auf notwendige Handlungsperspektiven und konkrete Maßnahmen, die die menschliche Steuerungsfähigkeit nicht überfordern.

Von der AfD haben wir keine Antworten auf unsere Fragen erhalten.